Hate Speech im Unterricht thematisieren – Ein Rückblick auf meinen Workshop

Ende Januar hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen des zweiten Deutschlehrertages an der TU Chemnitz einen interaktiven Workshop zum Thema Hate Speech mit Lehrerinnen der Sekundarstufe II durchzuführen. Das Ziel des Workshops war es, zu beleuchten, wie Hate Speech in sozialen Medien sprachlich funktioniert, welche Mechanismen dahinterstehen und wie Lehrkräfte das Thema in ihren Unterricht integrieren können.

Warum ist es wichtig, Hate Speech sprachlich zu analysieren?

Hate Speech ist ein Phänomen, das nicht nur gesellschaftlich brisant ist, sondern auch sprachwissenschaftlich interessant. Beleidigungen, Abwertungen oder gezielte Hetze gegen bestimmte Gruppen folgen häufig bestimmten sprachlichen Mustern. Diese Muster zu erkennen, ist meines Erachtens der erste Schritt, um Hate Speech zu identifizieren und ihr entgegenzuwirken. Deshalb habe ich im Workshop gemeinsam mit den Lehrerinnen reale Beispiele analysiert und Strategien erarbeitet, um Hassrede bewusst wahrzunehmen und sprachlich darauf zu reagieren.

Praxisnahe Ansätze für den Unterricht

Ein zentraler Bestandteil des Workshops war es, praxisnahe Übungen zu entwickeln, die Lehrer*innen direkt im Unterricht einsetzen können. Dazu gehörte unter anderem ein gemeinsames Brainstorming:

  • Wie kann das Thema Hate Speech in den Lehrplan integriert werden?
  • Welche Methoden eignen sich, um Schüler*innen für respektvolle Kommunikation zu sensibilisieren?
  • Wie kann der kritische Umgang mit Online-Inhalten gefördert werden?

Besonders spannend war die Diskussion darüber, wie Hate Speech mit anderen sprachlichen Phänomenen zusammenhängt. Dabei kam auch die Frage auf, welche Rolle Musik – insbesondere Songtexte – spielen kann. Viele Songtexte greifen gesellschaftliche Themen auf, reproduzieren aber auch problematische Sprachmuster. Diese Verbindung eröffnet eine Möglichkeit, sprachliche Reflexion mit einem Medium zu verknüpfen, das Jugendlichen besonders nahesteht.

Fazit: Ein hochaktuelles Thema mit Relevanz für den Schulalltag

Was im Workshop besonders deutlich wurde: Hate Speech ist ein hochaktuelles Thema, mit dem Lehrkräfte immer wieder im Schulalltag konfrontiert werden – sei es im Unterricht oder in persönlichen Gesprächen mit Schülerinnen. Deshalb hat es mir besonders viel Freude gemacht, nicht nur fachliche Impulse zu geben, sondern auch für die Fragen und Anliegen der Teilnehmenden da zu sein.

Ich freue mich darauf, diese Arbeit weiterzuführen und bin gespannt auf den Austausch mit Lehrkräften, die dieses wichtige Thema in ihren Unterricht integrieren möchten.

Multimodale Interaktion: Einblicke in meinen Lieblingskurs

Das Semester neigt sich dem Ende zu – und damit auch einer meiner Lieblingskurse: Multimodale Interaktion.

Gemeinsam mit den Studierenden tauche ich in die faszinierende Welt der Interaktionen ein. Wir erforschen, wie Menschen multimodal handeln – also wie sie Sprache, Gesten und andere Ausdrucksformen nutzen, um Bedeutung und Ordnung in alltäglichen Situationen zu schaffen.

Spannende Projekte aus dem Grundschullehramt Deutsch

In diesem Semester hatte ich das Vergnügen, mit Studierenden des Grundschullehramts Deutsch zu arbeiten – und es sind wieder großartige Projekte entstanden! Einige spannende Fragen, mit denen wir uns beschäftigt haben:

  • Wie gehen wir eigentlich gemeinsam spazieren?
  • Welche Rolle spielt der Raum, wenn Freunde zusammen Kekse backen?
  • Wie begrüßen sich Studierende vor der Mensa?
  • Wie koordinieren sich Jogger und Fußgänger beim Überholen?
  • Wie motivieren sich Spielende beim Volleyball?

Diese Fragen wurden nicht nur theoretisch untersucht – die Studierenden haben eigene kleine Forschungsprojekte entwickelt. Von der ersten Idee über die Forschungsfrage bis hin zur Datensammlung, Analyse und Präsentation durchliefen sie alle Schritte einer empirischen Untersuchung. Ein intensiver Prozess, der aber – das zeigt mir das Feedback – viel Freude bereitet und beeindruckende Ergebnisse liefert.

Praxisnahes Lernen mit nachhaltigem Effekt

Was mir an diesem Kurs besonders gefällt: Die Studierenden bekommen die Möglichkeit, eigene Ideen zu entwickeln, kreativ mit ihren Studieninhalten umzugehen und eigene Akzente zu setzen. Diese Freiheit steigert die Motivation und den Lernerfolg enorm.

  • Selbstständiges und kollaboratives Arbeiten: Die Studierenden arbeiten sowohl alleine als auch in Gruppen, oft auch asynchron in Selbstlernphasen. Diese Flexibilität fördert die Bereitschaft, dranzubleiben, und stärkt die Eigenverantwortung für den eigenen Lernprozess.
  • Schärfung der Beobachtungsgabe: Sie lernen, wie Interaktionen entstehen, organisiert und koordiniert werden – eine wertvolle Kompetenz für ihre spätere Praxis als Lehrkräfte. Denn auch in der Schule spielt die Anordnung von Tischen und Objekten eine entscheidende Rolle für eine gute Lernatmosphäre.
  • Komplexität reduzieren, ohne zu vereinfachen: Ihre Ergebnisse präsentieren die Studierenden auf Postern – eine wertvolle Übung, um komplexe Inhalte klar und verständlich darzustellen.

In Zeiten von KI eröffnet mir dieses Prüfungsformat zudem neue Möglichkeiten: Wer ein Poster erstellt, muss sich intensiv mit den eigenen Daten auseinandersetzen – denn in der Fragerunde werden gezielte Rückfragen gestellt. 😉

Ein kleines Lächeln zum Semesterende

Nun freue ich mich auf die Semesterpause – und denke ab und an mit einem Schmunzeln daran zurück, dass nicht nur Spaziergänger aufmerksam auf Jogger reagieren, sondern oft auch ihre Hunde.

Welche Rolle spielt Gestik in Moderationen von Meetings oder Workshops?

Die erfolgreiche Moderation von Meetings und Workshops hängt nicht nur von verbaler Kommunikation ab. Besonders die gezielte Nutzung von Gestik spielt eine entscheidende Rolle für einen strukturierten Gesprächsablauf. In diesem Artikel erfahren Sie, auf welche Weise Gesten in Moderationen oder Meetings hilfreich sind.

Die wichtigsten Gesten für erfolgreiche Moderationen

1. Das Rederecht zuweisen

Eine der grundlegendsten Moderationsgesten ist die nach oben geöffnete Handfläche. Diese einladende Geste signalisiert Gesprächsteilnehmern unmissverständlich, dass sie jetzt das Wort ergreifen dürfen. Sie schafft einen klaren Rahmen für die Gesprächsstruktur und ermutigt zur aktiven Teilnahme.

2. Aufmerksamkeit signalisieren

Der erhobene Zeigefinger, kombiniert mit einem bestätigenden Nicken, ist ein wichtiges Tool im Moderations-Arsenal. Wir organisieren Teilnehmende in einer Diskussion, indem wir mit dem erhobenen Zeigefinger und einem Nicken signalisieren, dass wir die Person wahrgenommen haben.

3. Geduld erbitten

Die bekannte „Stopp-Geste“ mit erhobener Handfläche ist besonders vielseitig einsetzbar. Sie kann:

  • um einen kurzen Moment Geduld bitten
  • signalisieren, dass der aktuelle Redner seinen Gedanken noch zu Ende führen möchte
  • eine natürliche Pause im Gesprächsfluss erzeugen

Praxisbeispiel: Gestik in TV-Talkshows

Ein ausgezeichnetes Beispiel für den professionellen Einsatz von Moderationsgesten bieten TV-Talkshows. Besonders die „Stopp-Geste“ wird hier häufig eingesetzt, um Redezeiten zu verlängern oder Unterbrechungen zu vermeiden. Beobachten Sie bei der nächsten Talkshow gezielt den Einsatz dieser Geste – Sie werden überrascht sein, wie häufig sie zum Einsatz kommt.

Fazit

Gezielte Gestik ist ein unverzichtbares Werkzeug für erfolgreiche Moderationen. Sie:

  • Strukturiert den Gesprächsverlauf
  • Unterstützt einen reibungslosen Ablauf von Meetings und Workshops
  • Hilft bei der Integration aller Teilnehmenden

Verändert sich unsere Gestik, wenn wir vor größerem Publikum sprechen?

Vielleicht hast du schon mal bemerkt, dass die Gesten unseres Gegenübers manchmal größer erscheinen: Bei Vorträgen vor größerem Publikum, aber durchaus auch bei Meetings mit mehreren Personen. Aber warum ist das so?

Zwei Hauptgründe für ausladendere Gesten

1. Verbesserte Sichtbarkeit

  • Größere Gesten sind auch aus der letzten Reihe noch gut erkennbar
  • Die Körpersprache unterstützt die verbale Botschaft deutlicher
  • Wichtige Aussagen können durch prägnante Gesten unterstrichen werden

2. Aufbau von Nähe und Verbindung

  • Ausladende Gesten überbrücken räumliche Distanz
  • Der erweiterte Gestikraum schafft eine unsichtbare Verbindung zum Publikum
  • Größere Bewegungen erzeugen mehr Präsenz und Aufmerksamkeit

Praktische Tipps für Präsenzveranstaltungen

  1. Nutzen Sie den verfügbaren Raum bewusst
  2. Passen Sie die Größe der Gesten an den Raum an
  3. Achten Sie auf die Sichtbarkeit Ihrer Gesten für alle Teilnehmenden

Die Anpassung unserer Gestik an verschiedene Präsentationssituationen ist ein natürlicher und wichtiger Prozess.

Wie Gesten und Sprache zusammenwirken: Ein kleiner Einblick in ihr enge Verbindung

1. Die Rolle von Gesten im Alltag

In unserer täglichen Kommunikation sind Sprache und Gesten eng miteinander verwoben. Gesten sind aus der Rede nicht wegzudenken. Ob beim Erzählen von Erlebnissen oder bei der Beschreibung von Objekten – mit unseren Händen geben wir oft wertvolle Hinweise. Sie helfen uns, komplexe Zusammenhänge zu veranschaulichen und vermitteln Informationen, die über das Gesprochene hinausgehen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil des Sprechens und helfen uns unter anderem dabei:

– Ereignisse in der Welt nachzuzeichnen,
– darauf zu referieren,
– Gegenstände und Handlungen nachzuahmen
– räumliche Angaben zu machen.

2. Wie Gesten die Sprache ergänzen

Gesten dienen als Erweiterung des Gesagten, indem sie Details wie Form oder Größe veranschaulichen. So könnten wir zum Beispiel die Dimension eines Gegenstandes durch die Hände andeuten, während wir lediglich „das war groß“ sagen. Diese Ergänzung unterstützt unser Gegenüber dabei, sich ein klareres Bild zu machen.

Oder aber wir ahmen die Art und Weise einer Handlung nach und benennen sprachlich nur die Tätigkeit selbst. In vielen Fällen sind die Gesten dann auch sehr eng mit der Grammatik der Lautsprache verknüpft – so eng, dass wir sie häufig über das Demonstrativum „so“ in die Äußerung integrieren, wie etwa: „Das war ungefähr so groß.“ 

3. Warum Gesten uns helfen

Und all dies tun wir nicht nur für unser Gegenüber, sondern für uns. Denn die Gesten helfen uns, das Gesagte anschaulicher zu machen und unsere Gedanken zu strukturieren.

Literaturtipps:

Bressem, Jana (2021). Repetitions in gesture: A cognitive-linguistic and usage based perspective. “Applications of Cognitive Linguistics (ACL)”, De Gruyter Mouton.

Was passiert mit Gesten, wenn man in einem Raumanzug steckt?

Buchcover von "The Expanse"

📚 Seit diesem Sommer bin ich regelrecht in die Science-Fiction-Reihe „The Expanse“ von James Corey eingetaucht. Ehrlich gesagt, eigentlich gar nicht mein Genre. Aber als mir ein Kollege die Bücher mit den Worten „Ich dachte, das wäre was für dich – schließlich kommen auch Gesten in Raumanzügen vor“ empfohlen hat, war mein Interesse geweckt.

💁‍♀️ Und tatsächlich, er hatte recht! Auch wenn Gesten in der Geschichte eher selten auftauchen, sind sie unglaublich faszinierend.

Ein paar Beispiele:

„Wie alle Gürtler hatte sie die Angewohnheit, zum Achselzucken nicht die Schultern, sondern beide Hände zu bewegen.“

„Uns bleibt ja sowieso nichts anderes übrig«, sagte Holden, und McDowell wedelte mit den großen schmalen Händen herum. Auch dies war eine der vielen Gürtler-Gesten, die sich entwickelt hatten, weil die normale Gestik im Raumanzug nicht zu erkennen war.“

„Havelock schüttelte abermals den Kopf, dieses Mal ein wenig ungläubig. Wäre er ein Gürtler gewesen, dann hätte er eine Geste mit den Händen gemacht, die man auch bei angelegtem Druckanzug noch wahrgenommen hätte.“

❓ Diese Szenen werfen eine spannende Frage auf: Was passiert mit unseren Gesten, wenn sie durch unsere Kleidung nicht mehr klar sichtbar sind?

👩‍🚀 Sie verändern sich – sie müssen sich verändern. Weil die Bewegung zu klein und nicht erkennbar ist. Oder weil die Kleidung nicht genügend Bewegungsfreiheit bietet.

♥ Spannend, wie anpassungsfähig unsere Gesten sind und wie sie unsere Umgebung und Bedürfnisse widerspiegeln.

🌌 Und eins ist mir dabei wieder mal klargeworden: Wir können nicht ohne sie – selbst im All und in einem Raumanzug. 😀

Sind Euch die Beschreibungen im Roman auch aufgefallen?


Referenz:
Corey, J. (2012). Leviathan erwacht: Roman (Vol. 1). Heyne Verlag.

Wie analysiert man Gesten in einer fremden Sprache?


🌍 Gemeinsam mit meiner Kollegin Claudia Wegener von der Universität zu Köln habe ich Gesten im Savosavo untersucht, einer Papua-Sprache, die auf den Salomonischen Inseln gesprochen wird.

🗣️ Claudia spricht Savosavo, ich jedoch nicht. Die Gesten habe ich trotzdem analysiert – aber meist nur in Zusammenarbeit mit Claudia und einem Muttersprachler. Warum?

🌐 Sprachliche Barrieren: Da ich Savosavo nicht spreche, muss ich auf Übersetzungen zurückgreifen. Trotz vollständiger Satzinformationen bleibt bei dieser Art der Übersetzung oft vieles unklar.

📜 Kulturelles Verständnis: Ich kenne die Kultur der Sprachgemeinschaft nicht, die rituellen Geschichten und die Gemeinschaftsstruktur sind mir fremd. Ohne diesen Kontext ist das Verständnis der Äußerungen stark eingeschränkt.

➡️ Unterschiedliche Gestenverwendungen: Manche Gesten, die ich aus anderen Sprachgemeinschaften kenne, werden hier anders verwendet. Zum Beispiel wird eine Geste, die wie das Wegfegen aussieht, in vielen Sprachen zur Verneinung genutzt. Im Savosavo hingegen dient sie zur Richtungsangabe.

🔍 Was habe ich also gemacht? Ich habe die Gesten zunächst ohne Sprache analysiert und mich auf die Beschreibung ihrer Form konzentriert. Und ich habe erste Überlegungen zu ihren Funktionen angestellt, alles weitere haben wir dann gemeinsam gemacht.

🌟 Und das hat unwahrscheinlich Spaß gemacht. Denn sprachvergleichende Studien zu Gesten sind unglaublich spannend und bereichernd, weil sie Einblicke in andere Sprachen und Kulturen ermöglichen, auch wenn sie besondere Herausforderungen darstellen.

😁 Manchmal war es auch komisch. Immer dann, wenn ich Ideen hatte, die am Ende überhaupt keinen Sinn gemacht haben.

Mehr zu unserer Forschung gibt es hier: https://dobes.mpi.nl/projects/savosavo/

Stereotyp bestätigt? Gestikulieren Italienerinnen wirklich mehr?


🗣️ Zwei Kolleginnen von der Universität Lund, Marianne Gullberg und Maria Graziano haben diese Frage kürzlich untersucht. Sie verglichen, ob Italienerinnen mehr gestikulieren als Schwedinnen, wenn sie einen Zeichentrickfilm nacherzählen.

Und ja, es gibt tatsächlich Unterschiede im Gebrauch von Gesten:

🔹 Häufigkeit der Gesten: Italienerinnen produzieren insgesamt mehr Gesten als Schwedinnen.
🔹 Art der Gesten: Italienische Sprecherinnen verwenden mehr pragmatische Gesten, um z.B. etwas als offensichtlich zu kennzeichnen und die Nacherzählung zu strukturieren. Schwedinnen nutzen hingegen mehr referentielle Gesten, die konkrete Objekte oder Handlungen darstellen.
🔹 Narrative Ebenen: Während Schwedinnen beim Gestikulieren eher konkrete Ereignisse und Handlungen darstellen, wechseln italienische Sprecherinnen zwischen der Darstellung von Ereignissen und der Hervorhebung neuer Informationen. Beide Gruppen zeigen also unterschiedliche rhetorische Stile beim Nacherzählen.

🤯 Die Ergebnisse überraschten die Autorinnen selbst ein wenig, da sie im Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen stehen. Man hätte nämlich eher das Gegenteil erwartet: Mehr darstellende Gesten bei den Italienerinnen und mehr pragmatische Gesten bei den Schwedinnen.

🌍 Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Ja, es gibt kulturelle Unterschiede im Gestengebrauch. Aber wir brauchen mehr vergleichende Studien, um diese besser einschätzen zu können und zu verstehen, wie Sprache und Gestik zusammenwirken, um unterschiedliche kommunikative Stile zu formen.


Referenz:

Graziano, M. & Gullberg, M. (2024). Providing evidence for a well-worn stereotype: Italians and Swedes do gesture differently. *Frontiers in Communication*, *9*, 1314120.

Emotion AI: Eine Revolution oder ein ethisches Dilemma?

Emotional AI, Dall-E

Meine Reihe zu Emotion AI endet heute. In den letzten Wochen habe ich die Möglichkeiten und Gefahren dieser Technologie beleuchtet – oft kritisch. Warum?

❗️Weil sie die Vorstellung fördert, dass der wahre Ausdruck einer Person im Körperlichen zu finden sei, was theoretisch und ethisch fragwürdig ist. Eine Studie von Rhue (2018) zeigt z.B., dass Emotion AI dunkelhäutigen Menschen häufiger negative Emotionen zuschreibt als hellhäutigen.

⚖️ Der European Union AI Act erlaubt die Erkennung von Emotionen, verbietet aber die Zuschreibung emotionaler Zustände. Das bedeutet, Call Center Manager können sagen, dass Mitarbeitende verärgert klingen, aber nicht, dass sie es tatsächlich sind. Doch reale Konsequenzen bleiben: Was passiert in Bewerbungsgesprächen, wenn Personen vermehrt Wut zugeschrieben wird? Oder wenn Kindern in der Schule zugeschrieben wird, dass sie unkonzentriert sind.

❔ Möchten wir wirklich, dass Maschinen uns in dieser Art vermessen und einordnen? Gerade weil die Technik so problematisch und fehleranfällig ist. Und wie sinnvoll ist es überhaupt, dass Maschinen unsere Emotionen lesen?

🤔 Auch nach Abschluss dieser Blogserie wird mich das Thema weiter beschäftigen. Seit fast 20 Jahren forsche ich zu Gesten und ärgere mich immer wieder über den Mythos „Der Körper lügt nicht“, weil Gesten dadurch so missverstanden und fälschlich darauf reduziert werden. Emotion AI befeuert diese Fehlvorstellung erneut mit ganz realen Konsequenzen für uns alle.

💭 Und ich frage mich, was ich als Wissenschaftlerin tun kann? Ein Versuch, diese kleine Blog-Reihe, mit der Hoffnung, die Fallstricke dieser Technologie verstehbar zu machen und zum differenzierten Nachdenken anzuregen.

Daher vielen Dank an Euch fürs Lesen! Wie schätzt Ihr diese Technologie ein? Welche Gedanken schwirren Euch im Kopf herum?

📚 P.S. Wer für sich das Thema der emotionalen KI noch etwas umfassender interessiert, dem kann ich nur wärmstens das Buch „Menschen Versteher: Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert “ von Kenza Ait Si Abbou empfehlen.

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Referenzen: Rhue, Lauren, Racial Influence on Automated Perceptions of Emotions (November 9, 2018). Doi:10.2139/ssrn.3281765

Andere Länder, andere Mimik?

😃 In der klassischen Emotionspsychologie gelten Gesichtsausdrücke als universell: Wut oder Freude sollen sich weltweit auf dieselbe Weise im Gesicht zeigen. Doch so einfach ist es nicht.

🔎Bereits im 19. Jahrhundert wiesen Anthropologen darauf hin, dass es kulturelle Unterschiede im mimischen Ausdruck gibt. Gesichtsausdrücke sind genauso sozial erlernt wie andere Verhaltensweisen und nicht nur instinktiv.

👩‍💻 In den letzten Jahren bestätigen immer mehr empirische Studien diese These. Lisa Barrett und ihre Kolleg*innen zeigen, dass kulturelle Einflüsse erheblich darauf wirken, wie Gefühle hervorgerufen, kontrolliert, ausgedrückt und interpretiert werden. So fixieren westliche Betrachter bei erschrockenen und spöttischen Gesichtern auf Augen, Nase und Mund, während ostasiatische Betrachter hauptsächlich die Augen fokussieren. Diese Fixierung führt dazu, dass Ostasiaten erschrockene Gesichter oft als Überraschung (statt Angst) und spöttische Gesichter als Wut (statt Ekel) wahrnehmen.

👀Auch der Kontext spielt eine entscheidende Rolle in unserer Wahrnehmung. Im echten Leben sehen wir Gesichter nicht isoliert, sondern eingebettet in soziale Situationen, Körperhaltungen, Gesten und Worte. Ein finsteres Gesicht wird als bedrohlich empfunden, wenn es mit einer Gefahrensituation kombiniert wird, in anderen Kontexten aber als angeekelt oder bestimmt.

😄Gesichtsausdrücke sind zudem soziale Werkzeuge in der Interaktion. So lachen Menschen besonders dann, wenn ihr Lachen von anderen bemerkt wird, und nicht nur, weil sie erfreut sind. Holländische Sprecher*innen ziehen z.B. die Augenbrauen zusammen, um mangelndes Verständnis anzuzeigen – ein kooperatives Signal, kein Ausdruck von Verärgerung. Deutsche Sprecher*innen heben oft die Augenbrauen und weiten die Augen, um Überraschung auszudrücken und Informationen als besonders bemerkenswert zu markieren.

‼️Es ist also offensichtlich, dass Gesichtsausdrücke nicht nur Emotionen, sondern auch soziale Funktionen vermitteln und dass es signifikante Unterschiede im Ausdruck und in der Wahrnehmung gibt.

⚠️Wenn große Tech-Unternehmen und Softwareentwickler behaupten, es gebe verlässliche Beweise dafür, dass Gesichtsausdrücke direkt Emotionen offenbaren, dann ist das problematisch.

Welche Gefahren und Risiken ich damit verbunden sehe, teile ich in Teil 4 der Serie zu Emotion AI.

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Referenzen:
Barrett, L. F., Mesquita, B., & Gendron, M. (2011). Context in emotion perception. Current Directions in Psychological Science, 20(5), 286-290.