Andere Länder, andere Mimik?

😃 In der klassischen Emotionspsychologie gelten Gesichtsausdrücke als universell: Wut oder Freude sollen sich weltweit auf dieselbe Weise im Gesicht zeigen. Doch so einfach ist es nicht.

🔎Bereits im 19. Jahrhundert wiesen Anthropologen darauf hin, dass es kulturelle Unterschiede im mimischen Ausdruck gibt. Gesichtsausdrücke sind genauso sozial erlernt wie andere Verhaltensweisen und nicht nur instinktiv.

👩‍💻 In den letzten Jahren bestätigen immer mehr empirische Studien diese These. Lisa Barrett und ihre Kolleg*innen zeigen, dass kulturelle Einflüsse erheblich darauf wirken, wie Gefühle hervorgerufen, kontrolliert, ausgedrückt und interpretiert werden. So fixieren westliche Betrachter bei erschrockenen und spöttischen Gesichtern auf Augen, Nase und Mund, während ostasiatische Betrachter hauptsächlich die Augen fokussieren. Diese Fixierung führt dazu, dass Ostasiaten erschrockene Gesichter oft als Überraschung (statt Angst) und spöttische Gesichter als Wut (statt Ekel) wahrnehmen.

👀Auch der Kontext spielt eine entscheidende Rolle in unserer Wahrnehmung. Im echten Leben sehen wir Gesichter nicht isoliert, sondern eingebettet in soziale Situationen, Körperhaltungen, Gesten und Worte. Ein finsteres Gesicht wird als bedrohlich empfunden, wenn es mit einer Gefahrensituation kombiniert wird, in anderen Kontexten aber als angeekelt oder bestimmt.

😄Gesichtsausdrücke sind zudem soziale Werkzeuge in der Interaktion. So lachen Menschen besonders dann, wenn ihr Lachen von anderen bemerkt wird, und nicht nur, weil sie erfreut sind. Holländische Sprecher*innen ziehen z.B. die Augenbrauen zusammen, um mangelndes Verständnis anzuzeigen – ein kooperatives Signal, kein Ausdruck von Verärgerung. Deutsche Sprecher*innen heben oft die Augenbrauen und weiten die Augen, um Überraschung auszudrücken und Informationen als besonders bemerkenswert zu markieren.

‼️Es ist also offensichtlich, dass Gesichtsausdrücke nicht nur Emotionen, sondern auch soziale Funktionen vermitteln und dass es signifikante Unterschiede im Ausdruck und in der Wahrnehmung gibt.

⚠️Wenn große Tech-Unternehmen und Softwareentwickler behaupten, es gebe verlässliche Beweise dafür, dass Gesichtsausdrücke direkt Emotionen offenbaren, dann ist das problematisch.

Welche Gefahren und Risiken ich damit verbunden sehe, teile ich in Teil 4 der Serie zu Emotion AI.

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Referenzen:
Barrett, L. F., Mesquita, B., & Gendron, M. (2011). Context in emotion perception. Current Directions in Psychological Science, 20(5), 286-290.